Friedensgarten in „Die Wirtschaft“

Der Artikel  aus  ‚Die Wirtschaft‘ der NOZ  findet sich in der Originalfassung auf  Seite 24 der Ausgabe
vom 13. Dezember 2012 unter der Rubrik Leben & Leidenschaft.

Zum Download hier klicken > „Die Wirtschaft Dezember 2012“

Der Schlüssel zum Glück liegt im Gemeinschaftsgarten
Osnabrücker Projekt soll Menschen aller Generationen und Kulturen verbinden

VON MARIE-LUISE BRAUN, OSNABRÜCK

In Berlin tun sie es, auf den Dächern von New York tun sie es, auf Verkehrsinseln in London – und in Osnabrück: Städter greifen zu Spaten und Hacke, roden mitten im Zentrum Boden um und pflanzen Tomaten, Salat und Gurken, um sie später auf ihren Esstisch zu bringen. Urban Gardening heißt dieser  Virus, der mittlerweile auf der ganzen Welt um sich greift. Und auch in der Region gibt es solche Gärten.

 Der Anfang ist gemacht: Im Osnabrücker „Friedensgarten“ sind die ersten Obstbäume gepflanzt. Im nächsten Jahr sollen Gemüse- und Blumenbeete angelegt werden. Foto: Thomas Osterfeld

Die Menschheit wird klüger, glaubt man Joachim Ringelnatz: „Kinder weinen, Narren warten, Dumme wissen, Kleine meinen, Weise gehen in den Garten“, dichtete er einst – und derzeit werden es immer mehr, die sich einen Garten wünschen, um Ruhe und einen Ausgleich zu finden, um eigenes Gemüse anzubauen oder einfach in der Sonne zu sitzen.

Vor wenigen Jahren noch galten Schrebergärten unter jüngeren Leuten als der Inbegriff der Spießigkeit. Jetzt kommt der Wunsch nach einem eigenen Stück Land, nach ein bisschen Natur in der Stadt unter dem englischen Begriff „Urban Gardening“ viel lockerer daher. Und mit dem klassischen Schrebergarten hat das auch nur noch wenig gemein. Denn die Höhe der Hecke und die Ordnung im Garten sind dort nicht reglementiert. Es soll grünen und das möglichst üppig.

Im Berliner Prinzessinnengarten beispielsweise wächst seit dem Sommer 2009 Grünzeug für den Kochtopf, wo 60 Jahre lang 6000 Quadratmeter Brachfläche war. Weil die Organisatoren das Gelände bislang immer nur für ein Jahr von der Stadt Berlin pachten konnten, bauten sie Gemüse, Obst und Kräuter in umfunktionierten Bäckerkisten, Tetrapaks und Reissäcken an. Mittlerweile engagieren sich hier Kinder, Jugendliche, Erwachsene und auch alte Menschen für eine ökologische Landwirtschaft – mitten in Berlin. Es gibt ein Café und eine Gartenküche. Niemand hat dort ein eigenes Beet, jeder, der mag, kann mitmachen. Und sie wollen es weiter tun: Fast 30 000 Stimmen haben die Organisatoren  mittlerweile beisammen, damit der Garten erhalten werden kann. Denn die Stadt will das Gelände jetzt verkaufen.

In Osnabrück steht der Friedensgarten erst am Anfang. Elf Obstbäume sind bereits gepflanzt auf dem 10 000 Quadratmeter großen Gelände am Haster Weg. Im kommenden Jahr sollen Gemüse, Blumen und Obst auf Gemeinschafts- und Einzelbeeten angebaut werden. Die Betriebsfläche ist auf dem Lageplan bereits ausgewiesen, ebenso ein Platz für eine Pergola, unter der die Gärtner gemütlich beisammensitzen können.

Die Initiatoren haben den Verein „Friedensgarten“ gegründet, dem die Stadt das Gelände zur Verfügung stellt. Hier soll ein „Interkultureller Gemeinschaftsgarten“ entstehen, an dem sich jeder beteiligen kann, der mag. So wirbt Doris Kube bereits in entsprechenden Vereinen in der Stadt um Mitglieder, die sich im Garten engagieren möchten. Zusammen mit dem Physiker Wieland Sack hat die Landschaftsplanerin und Umweltbildnerin das Konzept für den Friedensgarten entwickelt, der auf eine Idee von Sack zurückgeht.

Vor etwa zehn Jahren hatte der gebürtige Leipziger eine Ausstellung in Berlin über Städte besucht, deren Industrie zusammengebrochen war. Menschen, die dadurch kein Einkommen mehr hatten, begannen die Brachflächen der Industrie aufzubrechen, zu beackern und sich davon zu ernähren. Das war die Initialzündung für ein ähnliches Projekt in seiner Wahlheimat Osnabrück, erzählt Sack, der aus Leipzig die Schrebergartenkultur kannte. Nun entwickelte er Pläne für ein „Schreber zwei“, der Basis für den jetzigen Friedensgarten.

Dieser Name ist Programm: Denn hier sollen Menschen jeden Alters mit unterschiedlichem kulturellen und sozialen Hintergrund gemeinsam Land bestellen – ob Arm, ob Reich, ob Alt, ob Jung, ob Osnabrücker oder „tolopen Volk“, wie Zugereiste hier genannt werden. „Wir sehen das Projekt als Teil der Friedenskultur der Stadt Osnabrück und möchten ein Begegnungsort werden, an dem Toleranz und Solidarität im Alltag gelebt werden“, erläutert Doris Kube.

Das Konzept orientiere sich an den Zielen der Stiftung Interkultur, einem Netzwerk, dem  deutschlandweit 139 Gärten angehören. Weitere 77 Projekte sind in Planung. Die Gärten sollen Raum schaffen für ein neues Verständnis von Integration, so heißt es in der Satzung der Stiftung, die gern auch bei neuen Projekten berät. Was genau in Osnabrück angepflanzt werden soll, das sollen die Mitglieder in den kommenden Monaten entscheiden. Auf jeden Fall soll biologisch gegärtnert werden.

Den beiden Initiatoren ist es wichtig, dass der Friedensgarten ein Projekt des nachhaltigen  Wirtschaftens wird. „Auf diese Weise wird auch Familien mit geringen Einkommen ermöglicht, sich von biologischen Lebensmitteln zu ernähren“, betont Doris Kube und fügt nach kurzem Nachdenken hinzu: „In Zeiten von allgemeiner Unsicherheit, Arbeitslosigkeit und finanzieller Krisen ermöglicht er eine höhere Lebensqualität und sinnstiftende Tätigkeiten.“ Es kann natürlich auch einfach Spaß machen, in der Erde zu wühlen, Gießkannen zu schleppen – und im Sommer an selbst gezogenen Möhren zu knabbern. Im Friedensgarten besteht aber auch die Möglichkeit, sich über das Gärtnern auszutauschen und so eine Menge über die Natur und den Anbau von Lebensmitteln zu erfahren.

Noch trägt sich das Projekt nicht von selbst. Die Obstbäume sind Spenden von Baumschulen, der Pflug zum Bestellen der Brachflächen war eine Leihgabe. Künftig soll der Garten von den Menschen leben, die sich hier engagieren. Es gibt bereits einige Mitglieder und weitere Interessenten. So informierten sich beim Friedensgartenfest im Oktober fast 200 Besucher über die Idee und die Möglichkeit mitzumachen.

Der Trend, Natur in die Stadt zu holen, setzt sich auf immer neuen Wegen fort. So gibt es in den Niederlanden Pläne, einen ganzen Landschaftsgarten als eine Art Obst- und Gemüseladen zu bauen. Hier können die Kunden dann einkaufen, was gleich nebenan angebaut wird.

Kommentare 1

  • Sehr ehrlicher und präzise formulierte Bericht darüber, wie wir und warum wir überhaupt entstanden. Danke, Marie Luise, schreibt reichlich verspätet der „Alte Sack“.

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